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Von der Automatisierung zur KI: Lehren aus alten Test-Trends

Von der Automatisierung zur KI: Lehren aus alten Test-Trends

Im Software Testing gab es seit den 1990ern immer wieder vielversprechende Trends. Von der Automatisierungswelle der 90er über den Fokus auf Prozessmodelle bis hin zur Agilität und DevOps – jede Entwicklung brachte neue Hoffnungen und Erwartungen mit sich.

Doch wie haben sich diese Trends tatsächlich entwickelt? Welche anfänglichen Annahmen haben sich bewahrheitet, und wo wich die Realität von den Prognosen ab? Und was bedeutet das alles für den aktuellen Aufbruch im Bereich KI-gestützter Tests?

Auffällig ist dabei ein wiederkehrendes Muster, das an das sogenannte Jevons-Paradoxon erinnert: Effizienzsteigerungen in einem Bereich führen oft nicht zu einer Reduktion des Gesamtaufwands, sondern zu dessen Verlagerung und manchmal sogar Ausweitung – ein Phänomen, das im Softwaretesting besonders deutlich wird, auch vor dem Hintergrund immer kürzerer Entwicklungszyklen und einer stetig steigenden Menge an produzierter Software.

 


 

Die 1990er: Der Aufstieg der Testautomatisierung – Erwartungen vs. Realität

Früher hörte man häufig: "Testautomatisierung wird manuelle Tester überflüssig machen."

Tatsächlich brachte die Automatisierung enorme Effizienzsteigerungen, insbesondere bei Regressionstests und wiederholenden Aufgaben. Gleichzeitig entstand jedoch ein neuer Bedarf an Testern mit Automatisierungs-Skills für Skripterstellung und -wartung.

Manuelle Tests blieben etwa für fachliche, erfahrungsbasierte, explorative und Usability-Aspekte unerlässlich. Wie wir heute wissen, wurden manuelle und automatisierte Tests häufiger kombiniert, was zu Produktivitätssteigerungen führte, aber nicht zwangsläufig zu einer Reduzierung der Testeranzahl, sondern zu einer Erweiterung ihrer Aufgaben.

Dies ist ein klassisches Beispiel für das Jevons-Paradoxon: Die gewonnene Effizienz wurde nicht in eine Reduktion der Ressource "Testen" umgemünzt, sondern in eine Ausweitung ihrer Anwendung und Komplexität, da nun mehr und tiefergehender getestet werden konnte.

Wenn Sie soeben beim Lesen stockten: Der Blick darf nicht nur auf IT-seitige Tests im Entwicklungskontext gerichtet sein. Komplexe Business-IT-Systeme von Softwareanwendern mit hohen Aufwänden auf Fachbereichsseite während Integration und Abnahme müssen ebenfalls beachtet werden.

 


 

Die 2000er: Der Fokus auf Prozessverbesserung und Zertifizierungen – Versprechen und Ergebnisse

Die Testautomatisierung etablierte sich weiter, genauso die Kanonisierung im Testen und die Etablierung der Branche. Vermutet wurde nun: "Prozessmodelle wie TMMi und Zertifizierungen wie ISTQB werden die Softwarequalität maßgeblich verbessern."

Zwar etablierten Prozessmodelle und Zertifizierungen wichtige Standards und ein gemeinsames Vokabular im Testbereich und trugen damit zur Professionalisierung des Testens bei. Insbesondere verbesserten sich Testmethoden, Testprozesse und Testvorgehensweisen. Fachliteratur wurde publiziert.

Allerdings zeigte sich, dass Strategien, Konzepte und Modelle nicht die erhofften Qualitätssprünge garantierten, da sie ohne eine entsprechende Qualitätskultur im Unternehmen verpufften.

Auch hier zeigt sich, dass die Bemühungen um Effizienz durch Standardisierung den Gesamtbedarf an qualitativ hochwertiger Testarbeit nicht minderten, sondern die Suche nach effektiveren Wegen – wie bald darauf Agile – weiter befeuerten, was die Hartnäckigkeit des Testbedarfs im Sinne des Jevons-Prinzips unterstreicht.

Mögliche Lösungswege bot ein neuer, an Popularität gewinnender vermeintlicher Heilsbringer. Er hörte auf den Namen "Agile". Auch im Testen verlagerte sich der Fokus zunehmend auf agile Methoden und eine stärkere Integration von Testen in den Entwicklungsprozess.

 


 

Die 2010er: Agile und DevOps halten Einzug – Die Vision und die Umsetzung

Behauptungen wie diese finden sich noch auf manchen Websites: "Durch agile und DevOps werden dedizierte Tester überflüssig, da Entwicklungsteams das Testen integriert übernehmen."

Richtig ist: Agile förderte die Zusammenarbeit und die gemeinsame Verantwortung für Qualität im gesamten Team. Entwickler übernahmen mehr Testaufgaben, Tester wurden vielerorts früher und stärker in den Entwicklungsprozess integriert. Das Produkt rückte in den Vordergrund.

Der Ansatz "Whole Team Ownership of Quality" etablierte sich und veränderte auch die Projektarbeit stark. Das Silo konnte Agile nicht abschaffen: Die Expertise von Testspezialisten blieb entscheidend – nicht nur als agile Test Coaches, Qualitätssicherungs-Enabler und Experten für komplexe Testarten, sondern in den "traditionellen" Rollen und in ganz neuen, wie etwa dem Software Developer in Test (SDET).

Die "eingesparte" Zeit durch eine breitere Verteilung einfacherer Testaufgaben wurde also, ganz im Sinne des Jevons-Paradoxons, in spezialisiertere und tiefgreifendere Testaktivitäten investiert, was den Gesamtwert und -umfang des Testens eher steigerte. Betätigungsfelder wie API-Testing, Last- und Performance Tests oder Testautomatisierung gewannen an Tiefe und Differenzierung. Nur sehr wenige hochqualifizierte Kräfte können mehr als zwei dieser Bereiche meistern.

 


 

Die 2020er: KI-gestützte Tests: Ein echter Wendepunkt?

Nun erleben wir einen neuen, aufregenden Trend: KI-gestützte Tests und die breite Nutzung von LLMs. Die Dringlichkeit für solche Fortschritte wird durch den unaufhaltsamen Trend zu immer kürzeren Entwicklungszyklen und einer exponentiell wachsenden Menge an Software-Features und -Produkten noch verstärkt. Warum könnte dieser Trend nachhaltigere Auswirkungen haben als seine Vorgänger?

  • Intelligente Automatisierung: KI ermöglicht eine Automatisierung, die über starre Regeln hinausgeht. Sie kann Muster erkennen, Anomalien identifizieren, Testfälle generieren und sogar Vorschläge zur Fehlerbehebung liefern. Dies birgt das Potenzial, repetitive und analyseintensive Aufgaben deutlich zu reduzieren.
  • Fokus auf relevante Qualität: KI kann helfen, Testbemühungen intelligenter zu steuern und sich auf risikoreiche Bereiche zu konzentrieren. Dies könnte zu einer höheren Qualität mit potenziell weniger, aber gezielteren Testaktivitäten führen – oder wahrscheinlicher, zu einer tiefergehenden Abdeckung kritischer Bereiche.
  • Neue Rollen und Kompetenzen: Die Implementierung und Nutzung von KI im Testumfeld wird neue Rollen erfordern (z.B. KI-Testingenieure) und bestehende verändern. Angesichts des stetig wachsenden Softwarevolumens geht es nicht nur darum, bestehende Tester produktiver zu machen, sondern oft auch darum, die gestiegene Testlast überhaupt bewältigen zu können. KI kann hier die notwendige Produktivitätssteigerung liefern, während sich menschliche Tester auf Strategieentwicklung, Ergebnisinterpretation und die Validierung von KI-Modellen verlagern.
  • Demokratisierung des Testens: KI-gestützte Tools könnten das Erstellen und Ausführen von Tests auch für Personen mit weniger spezifischem Testwissen zugänglicher machen, was potenziell die Testabdeckung erhöht.

 


 

Die entscheidende Frage: Verändert KI die Testlandschaft grundlegend?

Obwohl KI-gestützte Tests ein enormes Potenzial bieten, ist es unwahrscheinlich, dass sie menschliche Tester ersetzen werden – vielmehr werden sie benötigt, um die schiere Menge an notwendigen Tests in modernen Softwareprojekten überhaupt bewältigen zu können und gleichzeitig die Effizienz jedes einzelnen Testers zu steigern.

 

Der Bedarf an Testaktivitäten wächst schneller, als Tester ausgebildet werden können; KI ist hier ein Werkzeug, um diese Lücke zu schließen und gleichzeitig die Qualität zu verbessern.

 


 

Einige Beobachtungen zum KI-gestützten Testen:
  • Die Effektivität von KI-Tests hängt stark von der Qualität und Repräsentativität der Trainingsdaten ab.
  • Die Entscheidungen von KI-Modellen sind nicht immer transparent und nachvollziehbar.
  • Auch KI-Testsysteme erfordern kontinuierliche Pflege und Anpassung an sich ändernde Anwendungen, Schnittstellen und Systemlandschaften.
  • Kreativität, kritisches Denken, Empathie für den Nutzer und das Verständnis des Geschäftskontexts bleiben menschliche Stärken, die KI in absehbarer Zeit nicht vollständig imitieren kann. Exploratives Testen und Usability-Bewertungen werden weiterhin menschliche Expertise erfordern.
  • Usw.!

 


 

Die vergangenen Trends haben uns gezeigt: Der menschliche Faktor bleibt immer erhalten. Menschen werden mit den richtigen Werkzeugen, und nichts anderes sind KI-gestützte Test-Tools, besser, schneller, genauer, aber sicherlich nicht ersetzbar.

Es geht um eine Synergie, bei der sowohl mehr Testkapazität (potenziell auch mehr Tester) als auch eine höhere individuelle Produktivität durch KI angestrebt werden, um den Anforderungen gerecht zu werden.

 


 

Ausblick

Die Geschichte des Softwaretestens ist geprägt von Trends, deren tatsächliche Auswirkungen oft von den ursprünglichen Erwartungen abwichen. KI-gestützte Tests stellen zweifellos eine bedeutende Weiterentwicklung dar und bieten spannende Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung.

Wir stehen vor einer weiteren Evolution, nicht einer Revolution. Die Testberufe werden sich weiterentwickeln, neue Fähigkeiten und Schwerpunkte werden wichtiger. Angesichts kürzerer Entwicklungszyklen und einer explodierenden Softwaremenge ist dies auch zwingend notwendig.

Das Jevons-Paradoxon lehrt uns, dass Effizienzsteigerungen, wie sie KI verspricht, oft dazu führen, dass wir mehr von einer Ressource nutzen – im Falle des Testens bedeutet dies, dass wir die gewonnene Kapazität nutzen werden, um umfassender, intelligenter und tiefer zu testen, als es bisher möglich war.

Es braucht also beides: mehr Testkapazität, potenziell auch durch mehr Tester, und eine signifikante Produktivitätssteigerung des Einzelnen durch Werkzeuge wie KI. Aber der Mensch bleibt das zentrale Element im Testprozess – gerade im Zusammenspiel mit neuen Technologien.

Unternehmen sollten die Potenziale von KI-gestütztem Testen realistisch einschätzen und gezielt in die Weiterbildung ihrer Teams investieren, um die Chancen optimal zu nutzen – ohne auf die bewährte menschliche Expertise zu verzichten.

 


 

Wir besprechen unsere Position zum KI-gestützten Testen gerne mit Ihnen - melden Sie sich!

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